Interview mit Helga Schroeder MS
Im Sommer hast Du als erste Frau des gesamten deutschsprachigen Raums die Prüfung zum „Master Sommelier“ bestanden. Dieser vom Court of Master Sommeliers verliehene Titel ist die hochwertigste Ausbildung der gastronomischen Branche weltweit. Was machen diese beiden Buchstaben so einzigartig?
Mit einer Erfolgsquote von gut 4 Prozent ist es einfach die anspruchsvollste Prüfung der Branche – und das international gesehen. Neben einem wirklich detaillierten Wissen über jedwede Art von Getränken, beispielsweise Cocktails, Bier, Sake, Säfte und anderes, sind fundiertes Weinwissen und alle damit verbundenen Themen wie Klima, Geologie, internationale Weingesetze, usw., unverzichtbare Voraussetzung. Ebenso gefragt sind exzellente Service-Skills, beispielsweise ein korrekter Champagner- service, fachgerechtes Dekantieren, Menüplanung, sowie aussagekräftige Weinberatungen und Mitarbeiterschulungen.
So sollte man beispielsweise in der Lage sein, anhand einer Landkarte des Douro den Mitarbeitern diese Region in Hinblick auf Historie, Böden, Klima, Rebsorten, Weintypen und deren Einsatz im Restaurant zu erklären. Eine andere Situation wäre vielleicht ein 3er Pinot-Noir Flight, deren jeweilige Typizität und Qualitätsunterschied es einhergehend mit dem jeweiligen kommerziellen Nutzen zu beschreiben gilt. Das alles sollte selbstverständlich in typisch britischer Manier und mit entsprechender Anmut absolviert werden.
Ein dritter Prüfungspart sieht eine Blindverkostung von sechs Weinen vor, bei dem man Rebsorte, Jahrgang und Herkunftsregion benennen muss. Erschwerend kommt bei allen drei Examensteilen hinzu, dass sie in einem sehr engen zeitlichen Rahmen absolviert werden müssen. Diesen extremen mentalen Druck muss man aushalten können, und ich habe schon viele, sehr talentierte Sommeliers getroffen, denen das schwer gefallen ist.
Für die Prüfung zum Master Sommelier sollte man mit sich im Reinen und absolut fokussiert sein.
Was war Deine größte Motivation, den Titel „Master Sommelier“ zu erlangen?
Angefangen hatte ich mit dem Studium, weil ich mich weiterentwickeln und meinen Ausbildungsstand verbessern wollte! Mein Leben war angenehm aufgeräumt, alles lief nach Plan, bestens organisiert. Dennoch hat Spannung gefehlt, ich suchte eine neue persönliche Herausforderung. Dieses neue Ziel sollte international anerkannt sein und auf hohem Niveau stattfinden. Eine Ausbildung wie sie mir optimalerweise der Court of Master Sommeliers mit der Ausbildung zum Master Sommelier bieten könnte.
Mich faszinierte die schiere Unerschöpflichkeit des Themas Wein. Ich benötige ein Ziel. Und dieses Ziel muss mich fordern. So habe ich im Vorfeld intensiv recherchiert, welche Ausbildung mich in meinem Berufsleben fördern könnte. Da es in Deutschland leider keine Alternative zur Ausbildung zum Master Sommelier gibt, habe ich mich 2012 beim Court of Master Sommeliers beworben. Die Briten sind mir im Herzen einfach sehr nahe; ich mag die anspruchsvolle Art der Ausbildung. Das Studium ist hart. Es forderte mich, gab mir aber gleichzeitig sehr viel positive Energie. Eigentlich war das die Haupt-Motivation diese schonungslose Ausbildungszeit durchzuhalten.
Nach Bestehen des dritten Prüfungsteils war ich extrem motiviert und wollte unbedingt die Prüfung zum Master Sommelier bestehen. Das spornte dann noch mal zum Endspurt an!
Im Laufe der Zeit habe ich mir eine viel positivere Lebensansicht angewöhnt. Ich kann besser mit Stress umgehen, habe gelernt, in schwierigen Situationen einen kühlen Kopf zu bewahren und mir bei all dem auch selber treu zu bleiben.
Kann man den Titel „Master Sommelier“ mit dem „Master of Wine“ vergleichen, bzw. was genau ist eigentlich der Unterschied?
Ich denke, es sind wirklich zwei Prüfungen auf dem gleichen Niveau, die sich im besten Fall ergänzen, letztendlich aber unterschiedliche Schwerpunkte aufweisen:
Der MS (Master Sommelier) orientiert sich am Service und Dienstleistungsbereich, d.h. wir müssen beispielsweise im Restaurant etwas direkter und schneller reagieren, unsere Theorie wird beispielweise nur mündlich geprüft. Jede Frage wird nur einmal gestellt und dann geht es weiter zur nächsten. Der Syllabus, also den Lehrplan des MS (Master Sommelier) umfasst sämtliche Getränke (außer Milch), sowie Tabak und Speisen. Dazu kommt der praktische Service und eben das Tasting, welches ebenfalls mündlich absolviert wird.
Der MW (Master of Wine) nähert sich dem Thema eher von der wirtschaftlichen Seite, richtet sich an Fachleute aus dem Handel und an Journalisten und endet mit einer wissenschaftlich ausgerichtenten Diplomarbeit. Der Schwerpunkt ist auch hier Wein, doch es wird auch mehr Betonung auf die Vergleichbarkeit, Vinifikation und Vermarktung gelegt.
Welchen Ausbildungsstand, bzw. über welches Vorwissen sollte man verfügen, wenn man Master Sommelier werden möchte?
Es ist sicherlich von Vorteil, einige Zeit in der gehobenen Gastronomie gearbeitet zu haben, um auf die nötige Souveränität und Sicherheit im praktischen Bereich zurückgreifen zu können. Voraussetzung für das „Master Sommelier Diploma“ ist das Bestehen des „Advanced Sommelier Certificate“, welches nach den Einstiegsmodulen „Certified Sommelier Examination“ und „Introductory Sommelier Certificate“ folgt. Der Aufbau dieser Prüfungsanforderungen hilft, sich nach und nach an das hohe Niveau der Ausbildung zu gewöhnen.
Wie bereitet man sich am besten auf diese Ausbildung vor? Was sind unerlässliche Eigenschaften?
Unabdingbar sind Ausdauer, absolute Disziplin, eine große Hingabe für das Thema und die Fähigkeit, auch mit Rückschlägen klar zu kommen, denn die allerwenigsten schaffen die Prüfung in einem Anlauf. Man sollte absolut ehrlich sich selbst gegenüber sein, um an seinen persönlichen „Problemstellen“ effektiv arbeiten zu können.
Welche Schritte hast Du bewusst eingeleitet, um Dich auf die Prüfungen zum Master Sommelier vorzubereiten?
Ich habe einen persönlichen Trainings- und Lernplan erstellt. Dazu als erstes, sein Arbeitszeiten mit dem Arbeitgeber abzusprechen und zu versuchen, einen einigermaßen gleichen Tagesablauf zu etablieren. Routine hilft unglaublich. Feste Lernzeiten sind ebenso unabdingbar wie eine mental stabile Lage. Zusätzlich habe ich ein Jahr in London gelebt und gearbeitet, um das dortige Netzwerk rund um den Court of Master Sommeliers nutzen zu können. In der Ausbildungszeit bin ich sehr viel gereist. Die weltweiten Weinregionen zu besuchen, persönlich zu erleben und mit den Winzern über ihre Philosophie und ihr Winemaking zu sprechen, war mir extrem wichtig. Ein praktischer Ansatz, der die Theorie und mein täglich nachhaltiges Lernen ungemein erleichterte.
Ich liebe es, Zusammenhänge zu verstehen. In welcher Wechselwirkung stehen Historie, Boden, Terrain und Klima zueinander? Was passiert während der bio-chemischen Zusammenhänge nach der Traubenlese im Weinkeller? Wie verändert sich die Gesellschaft und mit ihr der Wein, die Moden, die Anforderungen? Wenn man das alles versteht, kommt das einer unglaubliche Bereicherung gleich. Eine kluge Lebensweisheit besagt, dass man alle Dinge, mit denen man sich gerne beschäftigt auch immer gut macht! Für mich bedeutet dies nachhaltiges Lernen, welches kulturelle Wuzeln birgt und sich komplett von einem Lernprozess unterscheidet, der kurzfristig und nur für Prüfungen stattfindet.
Wie hast Du trainiert und mit wem hast Du trainiert?
Ich habe mir eine feste Alltagsroutine eingerichtet, die je nach meinen Schichten ein wenig variiert hat, doch die praktischen Abläufe waren ähnlich. Die Tastings hat mir mein Mann eingeschenkt oder ich bin nach London bzw. Salzburg gefahren, um mich dort mit zwei meiner vertrauten Mentoren zu treffen. Zusätzlich trainiert man natürlich auch mit seinen Mitstreitern.
Wer oder was war in dieser Zeit Dein Ausgleich?
Als Ausgleich zu den vielen Stunden vor dem PC oder über den Büchern bin ich regelmäßig gelaufen, was sich schlussendlich zu einem dynamischen Marathon-Ausgleichtraining entwickelte. Nachdem ich die „Advanced-Prüfung“ bestanden hatte, war mir klar, dass ich für das Bestehen des Master Sommelier Diplomas einen sehr viel höheren Lernaufwand haben würde, folglich also auch ein effektiveres körperliches und geistiges Ventil brauchte. Ich habe mir ein Buch gekauft, befolgt, was mir empfohlen wurde und bin vier Monate später meinen ersten Marathon gelaufen. Ausdauersport habe ich eigentlich schon immer betrieben, aber ich wusste, dass mir diese Fokussierung auch bei meinem weiteren Weg zum Master Sommelier helfen würde. Auch hier gilt wieder: Alles was man mit Freude und Begeisterung macht, macht man einfach gut. Ein perfektes Zusammenspiel, da beide „Projekte“ mentale und körperliche Ausdauer und das Verlassen der eigenen Komfortzone fordern. Zudem ist es unerlässlich, sich ausreichende Ruhezeiten zu gönnen, damit die grauen Zellen anschließend umso nachhaltiger arbeiten können. Letztendlich lernte ich, an meine Grenzen gehen und darüber hinaus. Das funktionierte gut und war eine meiner motivierenden und wichtigsten Erfahrungen.
Kannst Du Deinen Aufwand für diese Ausbildung zeitlich beziffern und was war für Dich die größte Herausforderung bei dieser Prüfung?
Für die ersten drei Ausbildungsstufen des Master Sommeliers benötigte ich zwei Jahre, die letzte Stufe hat mir fünf Jahre abverlangt. Dies sind jetzt mal die nüchternen Zeiten und Zahlen.
Gelernt habe ich eigentlich fast täglich, wobei das manchmal auch inkludierte, dass ich einfach nur interessante Artikel las. Hinzu kommt, dass ich meinen kompletten Urlaub für Studienreisen, Messen und die Prüfungen aufbrauchte. So musste mein Mann dann schon mal mit drei Tagen Jahresurlaub am Bodensee klarkommen – zum Glück hat er mich immer in meinem Vorhaben bestärkt.
Die größte Herausforderung war schlussendlich das Tasting! Aufgeregt oder verschnupft spielen einem die Sinne da manchmal echt einen Streich. Großen Respekt hatte ich ebenfalls vor der praktischen Prüfung. Hier werden Restaurantszenen in einem ungewohnten Umfeld nachgestellt, was durchaus zu Irritationen führen kann.
Hilft es, bei Wettbewerben mitzumachen, beispielsweise „Bester Sommelier Deutschlands“, Sommelier Europa- oder gar Weltmeisterschaft vorzubereiten?
Ich denke, dass die Teilnahme an Wettbewerben vor allem für den praktischen Prüfungsteil hilft. Man kann sich in Wettbewerben sehr gut an den Stress von Prüfungssituationen gewöhnen.
Reicht Erfahrung in der gastronomischen Branche oder sollte man ebenfalls Abläufe des Weinhandels kennen?
Ich denke, dass eine gute Basis in der Gastronomie unerlässlich ist, aber es schadet natürlich nicht, unterschiedliche Professionen zu kennen. Schließlich weisen Handel und Gastronomie einige Schnittstellen auf. Ergänzend kommt hinzu, dass man im Weinhandel oft auf ein etwas größeres Portfolio zurückgreifen kann. In meiner Zeit in London – ein wirklicher Wein-Hotspot dieser Welt – waren das bei Hedonism Wines beispielsweise ca. 12.000 Positionen, davon allein über 1.400 Whisky-Sorten. Alles was Rang und Namen in der Weinwelt hatte, war hier vertreten. Für mich war diese unerschöpfliche Vielfalt ein ideales Trainingsumfeld, von dessen Erfahrungen ich heute noch profitiere.
Wem würdest Du empfehlen, diese Ausbildung anzugehen?
Jedem, der bereit ist, sich wirklich mit Haut und Haaren dafür zu engagieren – es geht einfach nicht nebenher.
Es muss klar sein, dass man unheimlich viel lernt, auch über sich selbst, aber auch, dass es wirklich viel Zeit, Nerven und entsprechendes Kleingeld braucht. Das soziale Umfeld muss mitspielen, Enthusiasmus und Durchhalte-vermögen sind super wichtig, ebenso wie ein positiver Spirit. Schlussendlich ist es ein unbeschreibliches Gefühl, wenn man das alles durchläuft und am Ende die Prüfung besteht.
Was hat der Titel „Master Sommelier“ in Deinem Leben verändert?
Zuerst war da natürlich eine unglaubliche Erleichterung und riesengroße Freude; auch ein wenig der Gedanke „was jetzt wohl kommt?“ Rückblickend kann ich sagen, dass ich an dieser Aufgabe gewachsen bin und keine Sekunde bereue. Ich habe bemerkenswerte Menschen getroffen, die mich seither als Freunde begleiten und inspirieren. Der Titel verleiht eine gewisse Autorität. Auf den ersten Blick entspreche ich vielleicht nicht unbedingt dem traditionellen Bild eines versierten Weinkenners. Durch die unterschiedlichen Beiträge im TV und in der Presse erfahre ich im alltäglichen Arbeitsleben etwas mehr Aufmerksamkeit und die Menschen setzen sich bewusster mit der Thematik auseinander. Sie fragen nach, sind neugierig und das ist für die Transparenz unseres Berufes extrem wichtig, da der Titel „Sommelier“ leider viel zu oft inflationär benutzt wird.
Wie wirst Du Deinen Titel zukünftig einsetzen?
Zum einen habe ich mich für das Prüfungsgremium des Court of Master Sommeliers angemeldet, da ich denke, dass Nachwuchsförderung sehr wichtig ist. Zum anderen bin ich der Überzeugung, dass wir alle – die diesen Titel tragen – wichtige Botschafter sind. Es geht darum, Qualität, Ethik und entsprechendes know how in die Branche zu tragen, dort höchste Standards zu etablieren aber auch die Freude an unserem Metier zu kommunizieren. In Form von Master Classes, Repräsentationen, als Berater für Gastronomie, Handel oder Weingüter. Ein extrem vielschichtiges Wirkungsfeld, das mir zukünftig bestimmt noch die ein oder andere interessante Möglichkeit bieten wird.
Dieses Interview führte Christina Fischer mit Helga Schroeder MS im Dezember 2019
Fotos: Helga Schroeder
Stand: 22.12.2019